„Die Alterung und Störungen von Photovoltaikanlagen werden auf einmal sichtbar.“
Interview mit Jörn Carstensen, Geschäftsführer bei greentech und Dr.-Ing. Michael Jordan, CTO von morEnergy über die Zusammenarbeit beider Firmen und die Energiewende
Herr Carstensen, Herr Jordan, vielen Dank, dass Sie sich heute Zeit genommen haben. Erzählen Sie doch bitte, warum und wie es zur Kooperation zwischen greentech und morEnergy gekommen ist.
Carstensen: greentech ist ein vollintegriertes PV-Unternehmen und kümmert sich im Bereich der Servicedienstleister um die technische und kaufmännische Betriebsführung und das Engineering von Photovoltaikanlagen. Das Thema Power-Quality der Netze ist für uns daher von großer Relevanz, um eine gute Performance und eine hohe Qualität der von uns betreuten Anlagen sicherzustellen. Immer wieder sehen wir Defekte oder übermäßigen Verschleiß an Komponenten, deren genaue Ursachen sich nicht eindeutig ermitteln lassen. Vor diesem Hintergrund wollten wir die Situation von PV-Anlagen am Netz transparenter machen. Die Idee für die neuen Produkte ist aus vielen gemeinsamen Gesprächen mit morEnergy als Stromnetzspezialisten entstanden. Zusammen entwickelten wir zwei Ansätze einer hochfrequenten Power-Quality-Analyse. Mit ihnen können wir die bestehende Netzqualität und mögliche, daraus resultierende Auswirkungen auf die Anlage individuell überprüfen und darauf aufbauend mit gezielten Maßnahmen verbessern. Oftmals liegt der Grund für ein Fehlverhalten einer Anlage nur an einem schlecht dimensionierten Filter.
Jordan: Das Besondere an unserem gemeinsamen Angebot ist, dass wir mit unserer ONIS-Technologie im Maximalfall Spannungen, Ströme und Impedanzen in höheren Frequenzbereichen bis 150 kHz messen und auf diese Weise Fehlerquellen genau ermitteln können. Jede Anlage hinterlässt einen gewöhnlichen „Abdruck“ im Netz. Dieser hat großen Einfluss auf die Netzimpedanz. Sollte dieser Abdruck ungewöhnlich erscheinen, ist es mit unserem ONIS Messgerät möglich, die Ursachen zu ergründen und Handlungsempfehlungen zu geben, um Anomalien abzustellen. Wir sind überzeugt, mit greentech den starken Partner gefunden zu haben, der unsere ONIS-Technologie versteht und auch im praktischen Anwendungsfall einsetzen kann. Und natürlich stehen wir auch mit unserer Ingenieurexpertise als Berater zur Verfügung.
Wie sieht Ihre Zusammenarbeit konkret aus und wie gehen Sie bei den Messungen vor?
Carstensen: Mit dem ONIS Messgerät erheben unsere greentech Servicetechniker direkt an der Anlage gezielte Parameter zur Netzqualität. Die Daten werden zur Analyse an morEnergy übermittelt und dort von den Netzspezialisten ausgewertet. Der Kunde erhält einen Bericht, in dem neben den Ergebnissen der Analyse gezielt Handlungsoptionen für eine Verbesserung der Anlagensituation am Netz aufgezeigt werden.
Jordan: Es gibt zwei verschiedene Analyse-Ansätze, die wir anbieten: den Power-Quality-Check – kurz: PQ-Check – und den Electrical Fingerprint. Den Electrical Fingerprint bieten wir an, um am Anfang eines Anlagenlebens die gegebenen Zustandswerte zu ermitteln, dann wenn die Anlage noch neu und ohne Abnutzung übergeben wird. Wenn nun alle 2-3 Jahre die Messungen wiederholt werden, lässt sich klar erkennen, ob und wo ein Verschleiß vorliegt oder auch ob sich äußere Einflussfaktoren des Netzes aus der näheren Umgebung auf die Anlage auswirken. Alterung und Störungen von Photovoltaikanlagen werden so klar sichtbar. Am Ende ist der Mehrwert für den Anlageneigentümer eine klare Dokumentation, die er nutzen kann, um die Anlage zu einem höheren Preis zu verkaufen. Oder er kann proaktiv bestimmten Schäden vorbeugen und so von Anfang an eine bestmögliche Performance der Anlage sicherstellen.
Carstensen: Bestehen bereits seit längerem oder zeigen sich neuerdings Auffälligkeiten an einer Anlage, prüfen wir durch den PQ-Check, ob möglicherweise netzbedingte Störungen die Ursache sein können. Daher werden in einem aktiven Verfahren abwechselnd alle drei Phasen des Netzes im laufenden Betrieb durchgemessen. So lassen sich Anomalien oder übermäßige Belastungen unter realen Bedingungen möglichst schnell ermitteln. Und das ist wichtig, denn sie können nicht nur die Stabilität des Systems „Photovoltaikanlage“ stören und damit Ausfälle oder Notabschaltungen provozieren, sondern – wie in uns ebenfalls bekannten Fällen – langfristig auch zu signifikanten Leistungsbegrenzungen der Anlage führen.
Ist eine Prüfung der Anlage nicht gesetzlich beziehungsweise durch bestimmte Normen sowieso vorgegeben?
Jordan: Zurzeit gibt es keine gesetzlichen Regelungen, die eine Betrachtungsweise in höheren Frequenzbereichen vorschreiben. Anlagen müssen die DGUV V3 Prüfungen bestehen und es gibt die Technischen Regeln zur Beurteilung von Netzrückwirkungen der VDE. Diese Technischen Regeln berücksichtigen leider nur unzureichend hochfrequente Netzrückwirkungen. In einem Satz zusammengefasst, kann man sagen, dass die Regulierung der Stromnetze noch im 20. Jahrhundert verweilt, in dem man auf große und zentrale Kraftwerke gesetzt hatte, die ihren Strom mit 50 Hz einspeisten und ohne Wechselrichtertechnologien auskamen.
Wo sehen Sie Ihre Firmen im Jahr 2030? Was sind ihre unmittelbaren Ziele?
Carstensen: Wir haben uns in den letzten Jahren vom reinen Dienstleister zu einem voll-integrierten PV-Player entwickelt. Von der Projekt-Entwicklung über den Anlagenbau, die Finanzierung bis hin zum kaufmännischen und technischen Betrieb sowie laufenden Optimierungen decken wir die gesamte Downstream-Wertschöpfungskette der Photovoltaik ab. Dies ermöglicht uns sehr vernetzt und Wertschöpfungsstufen-übergreifend zu denken und zu handeln. So können wir Erfahrungen aus der Betriebsführung bereits während der Planungs- und Bau-Phase einfließen lassen. Da passt das Thema Netzqualität perfekt mit rein. Wenn dieser Aspekt von Anfang an berücksichtigt wird, kommt es später zu weniger Ausfällen und zuverlässigeren, höheren Erträgen. Diesen Weg wollen wir weiter konsequent gehen und viele Projekte entwickeln, bauen und betreiben, die aufgrund ihrer Qualität die niedrigsten Strom-Gestehungskosten aufweisen.
Jordan: Wir wollen noch digitaler werden und entwickeln uns mehr und mehr in den digitalen Raum. Weiter wollen wir morEnergy als die Marke rund um elektrische Netze etabliert haben, an der kein Weg vorbeiführt, wenn es Probleme oder Fragestellungen zu ebendiesen Netzen gibt.
Die Energiewende gilt gemeinhin als Success-Story, jedoch mit dem Makel des höchsten Strompreises in ganz Europa. Was können Technologieunternehmen, wie Ihre tun, um die Energiewende sozialverträglicher zu gestalten.
Carstensen: Ein Teil der hohen Strompreise in Deutschland kommt durch die EEG-Umlage zustande. In den Anfängen der kommerziellen Nutzung der erneuerbaren Energien wurde diese Form der Umlage-Finanzierung gewählt, um den Technologien auf die Sprünge zu helfen. Diese Form der Umlage ist im Vergleich zu anderen Fördermechanismen, die meist über Steuern finanziert werden, in der Tat nicht ausgewogen und sozial nicht gerecht. Da beginnt die Politik jetzt aber zum Glück umzudenken. Die Förderung als solches war aber notwendig und sehr erfolgreich. Heute können Wind- und Solarkraftwerke unterhalb der Großhandelspreise Strom produzieren und somit ohne Förderung wirtschaftlich betrieben werden. Perspektivisch werden die Erneuerbaren Energien dafür sorgen, die Stromkosten zu stabilisieren, wenn nicht sogar zu senken. Und wir machen uns damit weniger abhängig von fossilen Brennstoffen – von den positiven Auswirkungen auf die Umwelt und das Klima ganz zu schweigen.
Jordan: Aus unserer Sicht führt die Digitalisierung der Stromnetze zum Akzeptanzgewinn der Energiewende. Wenn man in Echtzeit die Netzauslastung bestimmen und im Idealfall sogar steuern kann, werden unnötige Kapazitäten gar nicht aufgebaut und die Energiewende wird günstiger.
Was wünschen Sie sich von der Politik?
Carstensen: Ich glaube bis auf wenige Ausnahmen hat der letzte Politiker inzwischen verstanden, welch alternativlose Rolle die Erneuerbaren Energien für eine verlässliche, kostengünstige und klimafreundliche Stromversorgung spielen. Jetzt geht es darum, diesen Weg gemeinsam mit der Politik, den Behörden und der Privatwirtschaft konsequent auszubauen. Wir brauchen zukünftig keine Förderung mehr für lohnende Investitionen in Photovoltaik-Anlagen, sondern verlässliche Planungsprozesse, einen kräftigen Netzausbau und klare Netzanschluss-Bedingungen, um dem Ziel zu 100% Erneuerbaren Energien zügig näher zu kommen.
Jordan: Alles in allem habe ich das Gefühl, dass die Energiepolitik schon eine große Rolle spielt. Was mir als Geschäftsmann wichtig ist, ist eine planbare, verlässliche Politik, die nicht nur auf eine Wahlperiode ausgerichtet ist.
Vielen Dank für das Gespräch!